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2901 Kilometer - Dunst und Nebel im Gemüt.

Weit weg von Stadt und Fortschritt

Schneller als die galoppierenden Ferraris

Eigentlich haben wir Rumänien schon Mitte Juni verlassen. Nun berichten wir endlich vom Land der Esel- und Pferde-Ferraris.

 

Zurück in der EU ticken die Uhren plötzlich ganz anders und von Serbien will keiner etwas wissen. Wir können nirgends die serbischen Dinare wechseln und werden von einem kompletten Kultur-Schock überrollt...

Wir kommen in der ersten Stadt nach der Grenze mit vielen Menschen ins Gespräch und alle kommen unabhängig voneinander direkt auf ein Thema zu sprechen: Es gibt kaum Arbeit im Land, und wenn dann nur richtig schlecht bezahlt (ca. 200 Euro Monatslohn). Jeder spricht in irgendeiner Weise die deutsche Sprache oder hat eine Beziehung zu Deutschland, weil er oder sie schon selbst oder ein Angehöriger in Deutschland zum Arbeiten war oder ist. Von Anfang an nehmen wir eine Art Unzufriedenheit wahr und es fühlt sich komisch an zu sagen, aus welchem Land wir kommen.

 

Zu Besuch in der Fahrradwerkstatt

Am ersten Abend durften wir direkt bei John unterkommen. (Wir versuchen nun immer nach Überqueren einer Landesgrenze bei Menschen hausen zu dürfen, um einen kleinen Einblick ins Land zu bekommen und nicht wie Fremde drauf los zu radeln.)

So richteten wir unser Nachtlager direkt in der Fahrradwerkstatt von John ein (bzw. er richtete alles für uns ein und ließ uns nicht helfen) und bekamen im Anschluss eine nächtliche Stadtrundfahrt auf dem Fahrrad geboten. Streng getaktet scheuchten uns John & Andrej durch die Stadt, zeigten uns stolz jeden bunt beleuchteten Park, den Bahnhof, alle alten heftig angestrahlten Bauwerke, Springbrunnen, den wohl unspektakulärsten Hafen, und überredeten den Türsteher einer alten Römer-Festung, dass wir mitten in der Nacht alleine darin einen Rundgang unter Sternenhimmel machen durften. Natürlich beendeten wir den Abend mit heimischem Wein und Wodka.

Das Wetter am nächsten Tag war einfach nur lausig. Stundenlang rollten Gewitter über uns hinweg und zwangen uns zum Bleiben (oder wir haben uns einfach zwingen lassen). John lud uns kurzerhand zu einer weiteren Nacht bei sich ein, schloß seine Werkstatt und führte uns zu einem weiteren vollgepackten Ausflug aus, um uns die Schönheit Rumäniens zu präsentieren. Wir schauten uns Herculane (deutsch: Herkulesbad) an, ein Kurort aus der Zeit des Römischen Reiches. So schön gelegen in einem Kessel umringt von herrlichen Bergen, mit prächtigen alten Badhäusern und Hotels, die leider fast alle verlassen sind und nach und nach verfallen. Nebendran ragen riesige sozialistische Plattenbauten in die Höhe, die die neuen Hotels darstellen und wirklich nicht zum Bleiben einladen. Spannend war es trotzdem dort im rumänisch-touristischen Trubel. Unser absolutes Highlight nach all dem Sightseeing:

 

Wir fahren mit dem Auto aus der Stadt heraus an einem Flusslauf entlang, um irgendwo baden zu gehen (Genaueres haben

wir aufgrund der Sprachbarriere nicht verstehen können). Plötzlich halten wir irgendwo im Nirgendwo zwischen

Honig-Verkäufern, Karten-spielenden Herren und palavernden alten Menschen und spazieren in Badekleidung

los - dem Treiben entgegen. Mitten zwischen den Bäumen neben dem Fluss befinden sich plötzlich zwei kleine mit Menschen

vollgepackte Badebecken, die in den Himmel dampfen. Ein Flötenspieler begleitet die Szenerie, in einem Zelt lädt eine

Massage-Dame zu einer Sitzung ein. Und so sitzen wir kurz später im wohl heißesten Badebecken unseres Lebens zwischen

sich massierenden Herren in herrlich entspannter Atmosphäre, schnüffeln den Schwefelduft und verstehen die Welt nicht

mehr, während über uns die Blätter rauschen und sich alle fröhlich unterhalten.

 

 

Über Land Durch eine andere Welt

Wir fuhren aus der Stadt heraus und es folgten drei Tage, in denen die Gegend immer ländlicher wurde, wir nur kleine Dörfer passierten und wenig Zivilisation vorherrschte. Je weiter wir kamen, desto ärmlicher wurde es. Die Kutschen nahmen zu auf den Straßen und schließlich gab es um uns zwei Radfahrer herum genauso viele Kutschen wie Autos, wobei die Autos eigentlich hauptsächlich schickste deutsche Schlitten waren, wie wir sie uns niemals leisten würden. Vor den Dorfkneipen parkten in Reih und Glied die Kutschen neben Nobelkarossen von BMW und Mercedes. Uns erschlug es fast, wie viel Müll wirklich überall abseits der Privatgrundstücke herumlag; aber es gibt eben abseits der Städte auch keine staatlich organisierte Müllentsorgung. Wir entwickelten viele Taktiken, um mit all den Straßenhunden fertig zu werden: wir pfiffen einen bestimmten Ton, was zu helfen schien oder eben auch nicht (Tipp von John), hatten Notfall-Steine in der Hosentasche und Tommi zog wie ein Ritter die Abstandsfahne als Lanze heraus. Durch ein Dorf zu radeln war stets ein Wechselbad der Gefühle - einerseits winkten uns die Menschen im Ortskern oft strahlend zu, andererseits wurden wir so oft auf Englisch beschimpft (schon von kleinen Kindern) und fühlten uns unwohl bei dem, was uns in der Landessprache hinterher gerufen wurde. Wir radelten mit einem unguten Gefühl im Bauch dahin und wussten gar nicht, was wir denken und wie wir handeln sollten. Zu sagen, dass wir aus Deutschland kamen, fühlte sich meist falsch an. So erwiderte ein junger Mann, mit dem wir uns im Kiosk unterhielten, zum Beispiel desillusioniert: "Fucking Romania!", als wir ihn nach seinem Herkunftsland fragten.

Die Landschaft war derweil eben, schön und gleichzeitig unspektakulär und wir durchquerten Felder um Felder um Felder, fühlten uns wie im Wilden Westen und fuhren einfach nur geradeaus.

 

 

Familie, Zuhause und Lachen bis in die Nacht

Ein Glück, dass wir bei all dem Gedankenchaos von Daniel nach Hause eingeladen wurden - einfach so, während wir in der Dorfbar ins Gespräch kamen. Er ließ sich nicht abwimmeln uns sein großes Bett zu überlassen, wir sollten eine ordentliche warme Dusche nehmen und die Mutter bereitete derweil ein herrliches Abendessen zu. Die Kinder von Daniel wohnen in Italien und Deutschland, weil sie dort Arbeit gefunden haben und so war es für Daniel und seine Eltern ein genauso großes Geschenk wie für uns gemeinsam Zeit zu verbringen. Endlich waren mal wieder junge Leute im Haus. Und so schauten wir mit dem etwas verwirrten Papa ein WM-Spiel von Deutschland an, saßen dann zu Tisch und tranken selbst gebrannten Schnaps und Wein und Likör und alle lachten aus tiefster Seele vor Glückseligkeit. Der Papa brachte einen Knüller nach dem nächsten, die Mama strahlte den gesamten Abend und zeigte einen Haufen Familienbilder, und Daniel war einfach nur zurecht stolz auf seine Familie. Wir haben lange nicht mehr so viel Freude empfunden wie an diesem Abend; und auch wenn wir schon mit viel Gastfreundschaft beschenkt wurden, war das mal wieder eine neue Dimension.

Nach einem Frühstück von der Mama verabschiedeten sie uns mit Tränen in den Augen.

 

 

Vielleicht haben wir es nicht lange genug im Land ausgehalten, um uns einzufinden. Aber das überwiegende Gefühl, ein unerwünschter Eindringling zu sein, hat uns dazu bewogen die Donau mit der Fähre zu überqueren und in Bulgarien weiter gen Osten in Richtung Schwarzes Meer zu radeln. Das Land scheint aus zwei Parallelgesellschaften zu bestehen: zum einen die Rumänen, die sich als zivilisierte Gesellschaft beschreiben, zum anderen die von ihnen abwertend und als abseits der Gesellschaft beschriebenen Roma. Beide scheinen nicht miteinander in Kontakt treten zu wollen, obwohl sie den Lebensraum teilen. Wir waren eingehüllt in eine von den Menschen ausgehende Depression über die eigene Heimat, mit der wir nicht umzugehen wussten. Wir wurden nicht schlau aus allem und so hatten wir das Gefühl erst einmal alles sacken lassen zu müssen.