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4577 Kilometer - Von Bergen und Klöstern.

Von Bergen und Klöstern.

Unterwegs mit Vipern, Wölfen, Braunbären und Kojoten

Nach der intensiven Zeit in Tbilisi mit so vielen Begegnungen, haben wir die kommenden Wochen in Armenien ziemlich in Einsamkeit verbracht, die bisher neue atemberaubendste Landschaft der gesamten Reise genossen und gekämpft. Denn: Armenien ist nicht nur wahnsinnig geschichtsträchtig, umkämpft und voller Klöster. Armenien ist auch unglaublich bergig!

 

Auszug aus unserem Tagebuch (202. Tag):

"Knallhart! Anders lässt sich mein und unser Zustand nicht beschreiben. Es ist Nachmittag und der Pass mit 2344 m liegt hinter uns. Davor, danach und die ganze Zeit kämpfen wir unentwegt gegen Wind. Gegen Wüstensturm gefühlt. Auch seit dem Pass geht es nur bergauf, bergab, bergauf, bergab - die erwartete Erholung bleibt gänzlich aus. Gänzlich. Wir sind kaputt. Unsere Körper sind zermürbt, ausgetrocknet und verbrannt. Die Sonne hat unsere Haut ordentlich zerstört, gepaart mit dem Wind. Alles ist ausgetrocknet, die Lippen und Finger sind aufgeplatzt. Die Füße sehen aus wie die von alten Menschen und Tine´s Füße sind von Stacheln entzündet. (...) Doch bis zu unserer Unterkunft warten nochmal 500 Höhenmeter auf uns. Ohne Wasser, Einkehr oder Laden. Doch wir haben kein Proviant mehr, weil dieses schlecht war." 

 

...Dass wir schlussendlich von Bijan in sein Hotel zu Übernachtung samt Verpflegung eingeladen wurden, konnten wir bis dahin ja noch nicht ahnen.

 

Wir sind richtig an unsere Grenzen gekommen. Ein Bergpass jagte den nächsten, die Nächte in den Bergen waren unerwartet kalt, die Sonne brutzelte und der Wind gab sein Bestes, um gegen uns anzukämpfen. 

Vor allem unsere Bilder erzählen von der Landschaft und zeigen, dass es sich trotzdem gelohnt hat so zu strampeln. Wir hätten am liebsten jeden Ausblick mit der Kamera eingefangen. 

 

Armenien - für uns interessant neben den allgemeinen Fakten.

* Alles wird verwendet: Alte Autoreifen werden verziert und zu Blumenkübeln umfunktioniert. Ausgediente Auto-Batterien dienen als Schirmbeschwerer. Joghurtbecher werden als Blumentöpfe verwendet.

* Was für uns in der Heimat so besonders ist, gehört hier der Normalität an: Die Straßen und Gärten sind allesamt gesäumt von reifen und überfüllten Feigen- und Granatapfelbäumen.

* Wirklich jeden Tag werden wir mit irgendetwas meist Essbarem beschenkt. Ob Äpfel, Fische, Trauben, einer Übernachtung, Backwaren, ganzen Brotzeiten, frischem Gemüse aus dem Garten oder armenischem Kuchen. Unser Essensvorrat wurde sowas von bereichert und so wurde jeder Tag ein Fest(mahl)!

* Überall Straßenhunde. Das kennen wir schon über Monate. Schwierig bleibt die Tatsache, dass Straßenhunde uns, sobald wir auf dem Fahrrad unterwegs sind, als Feinde wahrnehmen und uns ständig aggressiv attackieren wollen. Dabei sind sie doch eigentlich meistens lieb. Aber so sind wir meist bewaffnet unterwegs. In Armenien hatten wir darüber hinaus zwei prägende Erlebnisse: Auf einem Bergpass gesellte sich "Raudi Paul" zu uns und beschützte uns für eine Nacht. (Oder wir ihn, das haben wir nie herausfinden können.) An einer anderen Stelle mussten wir zusehen, wie ein Auto einen Hund anfuhr und dieser so verwundet wurde, dass er sterben musste.

Auch die Verwesungsgerüche der unzähligen toten Tiere am Straßenrand begleiten uns immerzu.

* Ein altes Kloster jagt das nächste. So durften wir auch schon zwei besichtigen und Zeugen werden davon, welche alten Zeugnisse des Christentums hier im Land an jeder Ecke auf einen warten.

* Schnaps und Schnaps und Schnaps. Alkohol - das verbindende Element. Dass in Armenien fleißig getrunken wird, das wussten wir. Dass der Schnaps so zu unserem Radl-Alltag gehören würde, hatten wir nicht geahnt. Spätestens pünktlich zur Nachmittagszeit wurden wir irgendwo am Straßenrand eingeladen und dann wurde geschnäpselt.

* Der Müll. Für uns die ganze Reise über ein Thema, da die Straßen eigentlich immer umgeben sind von Müll. Es ist so schwierig dies mit anzusehen, aufgrund der fehlenden gemeinsamen Sprache aber nicht mit den Menschen darüber in Austausch gehen zu können. Wir beobachten Menschen, die ihre leeren Flaschen aus dem Auto werfen, kistenweise ihren Müll vom Grundstück in den Fluss werfen und sind so traurig darüber, dass die schönsten Flecken im Land immer mit Müllbergen verschandelt sind.

* Schach wird in Armenien als Schulfach angeboten. Und wir sind auch fleißig dabei der bessere Krieger zu sein.

* Wie bei uns in der Heimat die Ster Holz vor dem Haus stehen, findet man vor fast jedem armenischen Haus einen kompletten Unterstand voller gestapelter Kuhfladen. Diese werden hier getrocknet als Zündmaterial verwendet.

* Zu Sowjet-Zeiten scheinen super viele Armenier als Soldaten in der damaligen DDR gewesen zu sein. Übrig geblieben ist davon neben vielen Erinnerungen, dass fast jeder Armenier und jede Armenierin das Wort "Schwein" kennt!

 

Heimat-radio: Auftrag an Dich

Um sich besser in unseren Radl-Alltag hinein zu fühlen, fordern wir den geneigten Leser und die geneigte Leserin dazu auf jetzt diesem Lied zu lauschen...

...Es läuft? Gut.

 

Seit Tbilisi sind wir stolze Besitzer einer kleinen Musikbox, die uns das Radeln in schweren Zeit versüßt. Und diese hatten wir in Armenien. Wenn nun also das nächste Dorf in Sicht kommt, schalten wir gerade laufendes Lied ein und können uns dort an einem Haufen verwirrt dreinblickender und gleichzeitig breit strahlender Gesichter freuen. Jedes Mal ein Highlight!

 

An unsere Lieben haben wir nun folgenden Auftrag:

Ein bisschen Heimat hat noch keinem geschadet - auch uns nicht. Tommi´s WG hat uns zum Abschied einen gefüllten MP3-Player geschenkt und dieser leistet uns sehr treue Dienste. Wir freuen uns wirklich RIESIG, wenn auch Du uns in den nächsten Tagen eine Playlist zusammenstellst, der wir dann beim Radeln lauschen können...

Ausgestalten kann sich das dann wie folgt: "Tommi, hören wir heute Sebi, Luki, Jochen, Kathi oder doch Sina an?"

Wir freuen uns schon jetzt!

Wenn Ihr Euch beeilt (bis Samstag oder vielleicht auch Sonntag), können wir Eure Werke noch vor dem Iran herunterladen. Schickt uns einfach an rolling_east@yahoo.com einen Link zum Herunterladen. Danke, Danke, Danke - wir werden es feiern.

 

eine Zeitreise zurück in die Sowjet-Union

Auch wenn Georgien ebenso zur Sowjet-Union gehörte, hatte es uns ganz schön erschlagen - diese Wucht an Vergangenheit, die uns beim Eintritt in Armenien entgegen wehte. Vor allem in den Orten der ersten Tage im Land ist sie gefühlt noch so präsent: Die Bauweise der Häuser - grau in grau, die vielen in Russland produzierten Autos von LADA, die Löcher in den Straßen, rostige rauchende Fabrikanlagen. Dabei wie immer mit unseren Rädern einfach hindurch zu rollen und zum Szenario zu gehören, war im ersten Moment echt fremd für uns und doch so normal.

 

Was unsere Reise durchs Land zu Beginn wirklich erschwerte, war die Tatsache, wie viele wilde Tiere in Armenien durch die Gegend streunen. Die armenische Bergotter - eine der giftigen Vipern - haust hier und beißt über die Sommerzeit fleißig Menschen. Daneben gibt es viele Wölfe, Braunbären und Kojoten. Dieses Wissen hat uns dazu bewogen die Sache langsam anzugehen und uns zuerst zu informieren, welche Regionen mit dem Zelt gut zu bewohnen sind. So verbrachten wir die ersten Nächte eingeladen und in Unterkunften.

Bei Anna & Tatul durften wir nächtigen, bekamen ihr Ehebett vermacht (nach über vier Wochen zum ersten Mal ein richtiges Bett!), hatten endlich mal wieder ein kleines Mädchen (namens Christine) um uns und hatten es richtig schön zusammen. Anna war erst 18 Jahre alt. Die Beiden sind schon seit vier Jahren verheiratet und haben ein einjähriges Kind. Ihr Zuhause war eine Wohnung in einem der unzähligen Plattenbauten ohne Türen und als Tatul uns zum Haus führte, umringte uns eine Kinderschar von mindestens 15 gespannten Augenpaaren. Hart an deren Zuhause war: In der gesamten Wohnung gab es genau eine Wasserquelle - die Küchenspüle. Diese wurde folglich nicht nur zum Geschirr spülen verwendet, sondern auch zum Kind waschen, zum Händewaschen nach dem Klogang und zum Auffüllen des Eimers, um das Klo zu spülen. Aber nur, weil die Sitten anders sind als bei uns, haben die Drei es trotzdem sehr gut und alle genossen unsere Zusammenkunft sehr.

 

 

Hoch stand der Sanddorn am Strand vom Sevan-See

Nach einigen eher grauen Tagen erreichten wir den Sevan-See. Weißt Du, was dieser See kann? Einiges!

Der See ist einer der größten Bergseen der Welt, liegt auf 1900 m, ist deutlich größer als der Bodensee und wurde unser neues Wohn- und Badezimmer. Ab dem Erreichen des Sees wurden wir nicht mehr fertig mit Schauen.

Überall Sanddorn, Klöster, zerklüftete Landschaft entlang der Küste, Pferdeherden, endlich wieder unvergessliche Plätze für unser Zelt und ein schönes Erlebnis:

 

Etwa 30 Kilometer der Küstenstraße durchquerten wir eigentlich keine Ortschaft.

Stattdessen radelten wir und die einzige Abwechslung war ein Verkaufsstand für getrockneten Fisch nach dem nächsten. Immer ganz verlassen stand da plötzlich ein Auto oder eine vom Wind zerzauste Hütte am Straßenrand. Wir dachten lange darüber nach, dass wir einen solchen Fisch eigentlich probieren sollten. Doch entschieden uns dagegen. Kaum eine Stunde später konnten wir einen solchen Verkäufer nicht abwimmeln, der uns unermüdlich in seine Hütte einlud. Gemeinsam mit drei weiteren Fischverkäufern saßen wir also da, tranken fleißig, kosteten den Fisch und die Situation war einfach nur skurril in dieser lausigen Hütte. Schließlich sollten wir auch noch einen Fisch auf den Weg mitnehmen. Ab diesem Zeitpunkt wollte uns so ziemlich jeder Fischverkäufer, an dem wir vorbeiradelten, einen solchen Fisch schenken. Hätten wir jeden angenommen, hätten wir einen eigenen Stand aufmachen können!

 

Viel zu viele Höhenmeter im Paradies

...Und es blieb so schön.

Wir begaben uns auf den armenischen Teil der Seidenstraße und überquerten den für uns bisher höchsten Pass, den Selim-Pass mit 2410 Metern, und verbrachten eine herrlich ruhige Zeit in der Höhe. Obwohl wir eigentlich erst 17 Kilometer geradelt waren, blieben wir oben am Pass und verbrachten eine weitere Nacht. Wir freundeten uns mit einem Schafhirten an, außerdem mit dem Hund "Raudi Paul" und genossen Sternenhimmel, Milchstraße, Weitsicht ins Tal und trotzten der eisigen Kälte.

Es folgten weitere Pässe mit zunehmend sinkender Laune. Doch es erfüllten sich zwei große Träume, und so war auch dies in Ordnung:

* Erfüllter Traum von Tommi: 

Ein langsamer alter Truck kam den Berg hoch geschnauft. Ein kleines Handzeichen von uns und sein Kopfnicken genügten, um die Situation zu klären. Wir dürfen mitfahren! Wir traten ordentlich in die Pedale und Tommi hielt sich kurz später an der Seite des LKWs. Tine dagegen befand sich weiter hinten und immer noch im Zielsprint. Einige Männer am Straßenrand erkannten die Situation sofort und feuerten sie lauthals an. Plötzlich fuhren wir gut sechs Kilometer bergan an der Seite des Trucks in Richtung Pass. Die Arme brannten und die Beine freuten sich.

Mit diesem Wissen müssen wir auch vor allen anderen auf uns wartenden Pässen keine Angst mehr haben. ...Und Tommi freute sich wie ein Großer, dass er es tatsächlich getan hatte.

* Erfüllter Traum von Tine: Wir wurden mehrmals Teil von wandernden Tierherden.

Auf den Berghöhen wimmelte es nur so von ihnen. ...Und wir wurden nicht mehr fertig mit Gucken, als wir eine Herde nach der nächsten mit unseren Rädern durchquerten, uns kurz mit den Hirten auf Pferden austauschten, und uns freuten wie Schneekönige, während die Schafe neben uns her wackelten und die Kühe mit ihrem gemächlichem Gang dahin trabten. In der Heimat Grund für ein Volksfest, gehören Tierherden im Straßenverkehr nun zum Alltag dazu.

 

Die Landschaft ist zunehmend karg, für uns so schön und fremd mit den endlosen ausgetrocknet wirkenden Bergen, immer wieder entdeckt man eine Oase im Tal und der Blick geht so weit, weil kein Baum im Weg ist. 

 

 

Trauerschlag: Nach 4469 Kilometern müssen wir den ersten Platten der Reise verkünden.

 

Kommende Woche werden wir in den Iran einreisen.

Wann der nächste Artikel erscheinen wird, das schauen wir mal. Ob wir dort Zugriff auf unsere Homepage haben, wird sich erst vor Ort herausstellen...

 

Also, denkt an die Musik. Wir denken an Euch.