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5975 Kilometer - Auf der linken Straßenseite in den Tumult

Auf der linken Straßenseite in den Tumult

 

 

 

 

 

Wir verließen den Flughafen in Neu-Delhi (Indien) und wieder war...

...alles anders.

 

 

 

 

Plötzlich trugen die Männer Turbane und bedeckten ihre Häupter, während die Frauen für uns höchst offenherzig ihre Haarpracht zeigten.

Die Menschen sprachen fast alle Englisch, doch wir verstanden... Nichts! Der indische Akzent ist wirklich beeindruckend. 

Dann wollten wir die erste Straße überqueren und der Verkehr kam von der falschen Seite. Linksverkehr mit dem Fahrrad? Was auch sonst!

Das Essen war plötzlich so abwechslungsreich, unglaublich scharf und es gab kaum mehr Fleisch. 

Die Sonne sahen wir nicht mehr, der berühmt berüchtigte Smog über Delhi leistet ganze Arbeit.

Außerdem durften wir plötzlich wieder offiziell trinken, tanzen, Musik machen, uns in der Öffentlichkeit berühren. Wir bemerkten, dass uns schon zweieinhalb Monate im Iran echt geprägt, wir die Verhaltensweisen verinnerlicht hatten, und uns das Leben in Indien in den ersten Tagen ganz schön ausschweifend erschien!

 

Verschluckt von Delhi

Keine Ahnung hatten wir, was uns in Indien und im Speziellen in Delhi eigentlich erwarten würde... Und ehrlich gesagt waren wir am Ende positiv überrascht. Die Menschen in der Großstadt waren uns erstmal so viel angenehmer und unaufdringlicher, als wir es im Iran gewohnt waren, und einfach sehr freundlich, das Essen eine einzige Geschmacksexplosion und das Stadtleben einfach aufregend.

Die ersten zwei Wochen verbrachten wir in der Hauptstadt. 

Eigentlich wollten wir nur Silvester feiern und los radeln. Daraus wurde nichts! 

Tag um Tag warteten wir auf die Ankunft der Weihnachts-Päckchen unserer Familien aus Deutschland, die im unorganisierten Zoll festhingen (eines davon tut es immer noch) und fingen uns darüber hinaus bei unserem exzessiven Konsum von feinsten Speisen an Straßenständen eine ordentliche 9-tägige Darminfektion ein. (Könnte eventuell an den Kakerlaken und der Ratte liegen, die uns beim Essen zugeschaut hatten.) Auf die feinen Speisen mussten wir daraufhin leider ganz schön lange verzichten.

Stattdessen entdeckten wir Tempelanlagen, schoben uns mit Massen an Indern durch die Altstadt und freuten uns wie Kinder daran mit den TukTuks durch die Großstadt zu düsen.

 

Kurzgeschichten aus den ersten Wochen

Sein ganzer Stolz

Eigentlich hielten wir nur kurz am Straßenrand, um die Schweine und Hunde beim "Grasen" in den Müllmassen zu fotografieren.

Plötzlich gestikulierte ein Mann wild, wir sollten ihn gefälligst mit auf das Foto nehmen - es war ja schließlich auch sein Schwein. Und sein ganzer Stolz. 

Am Ende folgte ein ganzes Foto-Shooting mit Tommi, den Dorfbewohnern, dem Schweinehirten und den genüsslich kauenden Tieren.

Als wir den Ganges radelnd überquerten, sahen wir viele Jungs fischend durch das seichte Wasser waten. 

Was wir erst später entdeckten:

Sie fischten mit Magnet am Ende der Schnur und fischten nicht nach Fisch, sondern nach Münzen...

Scheinbar bringt es Glück und die Menschen werfen Münzen in den Fluss der Flüsse.

Diese währen dort nicht lange, die Jungs stehen parat!

Fischend im Ganges

Das Starren der Inder

Einfach in Ruhe Pause machen in Indien - das ist nicht! ...Denn Du bist niemals unbeobachtet. Denk nicht mal daran.

Einmal waren wir echt kaputt von 40 Kilometern Schotterpiste & Baustelle und setzten uns zum Kraft tanken auf Holzstämme. Nach und nach sammelten sich hinter unseren Rücken in einiger Entfernung die Männergruppen, die uns offensiv beobachteten.

Am Ende sammelten sie sich um uns, starrten uns unverhohlen an. 

Keine einmalige Situation.

Ja, hier lernen wir auch unter Beobachtung zu funktionieren und unserer Linie treu zu bleiben.

 


Die Fladen der heiligen Kuh

Kühe sind in Indien heilig, soviel wussten wir. Und sie sind wirklich überall dabei im Trubel der Straßen, knabbern den Marktverkäufern den Salat von der Auslage und sind nicht aus der Ruhe zu bringen.

Irgendwann fragte Tine´s Mama, was denn eigentlich mit den Kuhfladen passiere...

Und am Tag drauf fanden wir es heraus:

Immer wieder im Park und am Straßenrand sehen wir Frauen, die eifrig kneten - aber nicht Teig, sondern Kuhfladen. Diese formen sie beherzt zu Fladen, die getrocknet werden und daraufhin als Brenngut dienen.

 

Von Katzen und Affen

In einer Stadt kommt uns ein rund 11-jähriges Mädchen in einer Gasse hinterher gerannt und spricht uns auf feinstem Englisch an: "Are you from a foreign country?" Danach fragt sie mit großen Augen: "Don´t you have monkeys there?"

Erst dann wurde uns bewusst, wie skurril das für die Menschen gewirkt haben muss, dass wir kurz vorher bestimmt eine Viertelstunde lang an einer unspektakulären Straßenkreuzung aufgeregt Affen beobachtet und fotografiert hatten.

Indische Affen sind wohl die deutschen Katzen. ...Würden wir uns amüsieren, würde ein Inder in Freiburg eine Viertelstunde lang Katzen fotografieren!

 

Juhu, wir sind nicht die Einzigen!

Die Zweiräder gehören in Indien sowas von zum Alltag dazu. Ob als Rikscha-Taxi, als Verkaufsstand oder als persönliches Transportmittel (natürlich meist zu mehreren!) - Fahrräder sind Teil des wilden Treibens.

Und so kommen wir ziemlich gut klar im Straßenverkehr, weil alle mit uns umzugehen wissen.

Zwei unter Vielen


On the road to Nepal. Zum Indischen Verkehr.

Viele Reiseberichte und Erzählungen von anderen Radlern haben uns großen Respekt eingeflößt vor dem Radeln in Indien. Ein einziges Chaos, unangenehm aufdringliche Menschen, ein Alptraum für einen Rad-Touristen.

...Mit diesen Tatsachen im Hinterkopf sind wir mit einer echten Kampfeshaltung aus der Metropole heraus geradelt. Und diese wurde uns auch widergespiegelt. 80 Kilometer durch Dreck und Gestank, kein Fleckchen Natur, nur starrende Menschen, keiner grüßt, aufdringliche Jugendliche, mit denen wir uns fast angelegt hätten, und wir wollten einfach nur weg.

Am zweiten Tag haben wir beschlossen einfach wieder "Tommi & Tine on the road" zu sein, haben fleißig gestrahlt und gewunken und plötzlich war auch Indien nett! 

 

Nichtsdestotrotz ist nicht alles wie immer - denn wir zelten nicht.

Aus mehreren Gründen: Es ist einfach voll in diesem Indien und wir könnten unser Zelt kaum unbemerkt aufstellen. Bisher wurden wir an jedem noch so abgelegen wirkenden Pausen-Plätzchen entdeckt. Die Reizüberflutung über den Tag ist uns im Moment mehr als genug und wir freuen uns wenigstens am Abend abseits von den uns folgenden Augenpaaren die Türe hinter uns schließen zu können. Außerdem lagen entlang unserer Route bereits zwei Tiger-Reservoirs und da ist uns nachts in der Wildnis nicht ganz so wohl.

Das ist tatsächlich ein wenig schade. Aber nun zelten wir einfach indoor in unserem schnuckeligen Moskitonetz-Zelt...

 

Und der indische Verkehr ist wirklich eine ulkige Geschichte, wenn man sich mal daran gewöhnt hat. Hier herrschen andere Regeln.

Nämlich: "BLOW HORN!" Und damit man das nicht vergisst, ist dieser Satz nochmal auf fast jedem Gefährt auf die Rückseite gepinselt und kleidet sogar Straßenschilder: "Achtung, Straßenkreuzung. Bitte hupen!"

Der Verkehr ist hier nämlich voll und ganz nach vorne gerichtet und Schulterblick und Rückspiegel kennt ein Inder nicht. Der Schnellere hat Vorrang, hupt und der Rest macht geduldig Platz. 

Das Hupen ist lauter, eindringlicher und länger als jedes Hupen, was wir vorher erlebt haben und die Melodien überaus kreativ.

Auf dem Highway, dem wir eine Woche lang gefolgt sind, gibt es wirklich alle Verkehrsmittel: Ochsenkarren, Container-LKWs, TukTuks, Affen, ausschwenkende Reisebusse, übermäßig überladene Zugfahrzeuge, Lastenräder, Straßenverkäufer, Motorräder mit vier Mitfahrenden,... Und natürlich wir mittendrin.

Gegenverkehr auf vierspurigen Straßen gehört auch zum Alltag und so jonglieren wir uns - nach unserem Empfinden ganz gekonnt - zwischen hupendem Gegenverkehr, gemütlich kauenden Kühen, staubenden Lastwägen und uns schneidenden Motorrädern hindurch.

 

Müll, Unser Beitrag dazu und Religionen in Indien

Müll und Natur. Wo ist die eigentlich?

Wow. Indien hat uns schon ganz schön umgehauen, was Umweltsünden anbelangt.

Wir radeln eine Straße entlang und plötzlich wollen wir nicht mehr atmen, so fürchterlich ungesund riecht es auf einen Schlag. Die ersten Tage wissen wir nie, wo das nun aus dem Nichts her kommt. Kurz später überqueren wir einen Fluss! Flüsse stinken entweder bestialisch und sehen aus wie Seifenlauge, sind nur noch ausgetrocknet oder von Müll überbordend. Und wenn es nicht gerade ein Fluss ist, passieren wir wieder eine Fabrik, von welcher der Schornstein dicht schwarze Rauchwolken ausstößt. Während wir nicht mal anhalten wollen, weil wir Angst haben durch das Einatmen der Luft krank zu werden, sehen wir die Menschen am Straßenrand, die an genau diesem Ort ihr Leben verbringen. 

In Delhi haben wir in zwei Wochen nur an einem Tag die Sonne und damit die Nachbarschaft gesehen, so nimmt der Smog die Stadt ein. In der Nacht werfen die Laternen ordentliche Lichtkegel - so viele Partikel sind in der Luft. Beim Radeln wollen wir uns irgendwann gar nicht mehr über die Lippen schlecken, so voller Dreck sind diese. Im Winter kommt noch hinzu, dass viele obdachlose Menschen mit ihrem Müll Feuer machen, um sich ein wenig aufzuwärmen. Der Smog nimmt somit noch heftigere Ausmaße an.

Das Wasser Indiens ist so schlecht, dass selbst das Leitungswasser in nur so schlechtem Zustand aufbereitet werden kann, dass man es nicht mal zum Mund ausspülen nach dem Zähneputzen verwenden soll, so voller Keime und Schwermetalle ist es. Dann zu überlegen, wie viele Wasserflaschen allein in der Millionenstadt Delhi (über 20 Millionen Einwohner) konsumiert werden müssen, um der Gesundheit gerecht zu werden. Das Aufkommen an Plastikflaschen wiederum, das daraus entsteht.... Ein abartiger Teufelskreis.

Und wir stecken im Moment mittendrin, konsumieren unmenschliche Massen an Plastikflaschen mit Wasser beim Radeln und haben keine bessere Lösung.

 

Wir müssen uns wirklich fragen, ob unsere Art des Konsums eines durchschnittlichen Deutschen wirklich so weitergehen kann? Es ist ja schön, dass es in unserer Heimat so schön ist und Produkte verhältnismäßig günstig sind - aber ist es dann fair Produkte zu erstehen, die in weniger entwickelten Ländern günstig hergestellt wurden (Medikamente, Kleidung, technische Geräte),  die Produktion aber kein Stück im Einklang mit der Umwelt abläuft. Und am Ende lamentieren wir dann über die Lebensweise und Politik beispielsweise in Indien...?

 

Ein Mix der Religionen.

Wenn man an Religion in Indien denkt, kommt einem meist Buddhismus & Hinduismus in den Kopf. Diese Religionen gibt es auch tatsächlich.

Was für uns aber viel spannender war:

1. Der Gesang der Moschee-Lautsprecher weckt uns auch in Indien immer wieder. 

2. Schon mehrmals haben uns Menschen darauf angesprochen, ob wir Christen seien... Sie waren es nämlich auch, hatten in den kleinsten Dörfern ihre Kirchen und waren mächtig stolz, dass sie eine Gemeinsamkeit mit uns haben.

3. Die vielen Männer mit Turbanen in Indien gehören der Sikh-Religion an. Was uns einige unglaublich herzliche Männer in einem Restaurant erzählten, wo sie uns einluden: Fast alle Männer haben unter dem Turban Haare bis zum Hintern. Die Turban-Tücher, die die Männer sich um den Kopf binden, haben eine Länge von bis zu 15 Metern. Und deren religiösen Stätten heißen weder Kirche noch Tempel noch Moschee, sondern Gurdwara.

 

Das erste Kapitel in Indien geht zu ende...

 

Auf den letzten Kilometern vor der Grenze zu Nepal bestückte Tommi Tine´s Fahrradvase liebevoll mit duftenden Blumen - das gab es eine Ewigkeit nicht. So schön! Da ahnten wir noch nicht, dass...

...während wir uns in der Immigration-Office aus Indien abmeldeten, zwei besonders gewitzte Affen auf Tine´s Fahrrad klettern würden, um zackig eben diesen Strauß aus der Halterung zu rupfen. 

Genüsslich kauend schauten sie uns fordernd an. Und wir verließen Indien für die nächsten Wochen ohne Blümchen.