Momentaufnahmen von zwei Reisenden.
Wilde Fahrt durch die Hitze Myanmars.
Tag 407.
Der erste Radl-Tag in Myanmar, dem Land, in dem wildes Zelten und Übernachten bei Einheimischen verboten ist.
Die Dämmerung bahnt sich ihren Weg über die Felder und wir fliegen durch die wunderbare Landschaft und sehen uns nach einem versteckten Plätzchen für unser Zelt um. Vergeblich, da überall Menschen auf den Feldern am Arbeiten sind oder ihre Tiere nach Hause begleiten.
Schließlich landen wir im Hof des Bürgermeisters in einem kleinen Dorf.
Nach und nach sammeln sich die Dorfbewohner und beobachten angeregt diskutierend jeden unserer Arbeitsschritte - während wir unser Zelt aufbauen, unseren Kocher in Gang setzen, den Inhalt unserer Fahrradtaschen Preis geben. Wir erklären den jeweiligen Zweck der Gegenstände.
Das Bürgermeister-Ehepaar bietet uns an uns nach unserer langen Radl-Etappe am Brunnen zu waschen. Doch wie? Steht doch das Dorf gesammelt im Hof, wo sich der Brunnen befindet, und schaut zu... Nach einigen unsicheren Gesichtszügen unsererseits nimmt sich die Frau ein Herz und kommt im Wasch-Outfit wieder und bringt mir (Tine) auch eines. Schritt für Schritt macht sie mir die einzelnen Schritte der birmanischen Wasch-Prozedur vor, ich mache alles nach. Eingewickelt in eine Art Duschvorhang-Handtuch kann man sich so nach birmanischer Tradition auch unter Beobachtung in Seelenruhe waschen.
Tag 408.
Ein Auto mit Blaulicht und der Aufschrift "AMBUNALCE" rast an uns vorüber.
Ein weiteres Auto zieht vorbei und direkt vor uns landet in hohem Bogen eine rote Pfütze auf dem Boden, die aus der Beifahrertür hinausgespuckt wurde. Ein Kunstwerk auf dem Asphalt.
Tag 409.
Schatten. Wo finden wir Schatten?
Die Sonne brennt auf unsere Haut nieder, das Thermometer zeigt 42 Grad, überall klebt Sand - in den Ketten, auf der Haut, in den Ohren. Der normalerweise einspurige Highway zeigt sich auch nach über 50 Kilometern nur als Sandwüste, die einmal eine Straße werden soll.
Tag 410.
Tommi´s Fahrradständer bricht unter dem Gewicht ab.
Tag 410.
Wir passieren ein kleines Dorf. „Mingalabar!“, das birmanische Hallo. Keine Begegnung bleibt ohne Begrüßung. Ein alter Mann strahlt uns an, während er mit seinem quietschenden Fahrrad und Zigarre im Mundwinkel an uns vorbei fährt. Eine Frau winkt fröhlich mit ihren zwei Kindern aus dem Schatten ihrer Holzhütte. Aus einer anderen Hütte hören wir Mingalabar-Rufe, obwohl wir niemanden sehen. Eine Gruppe Kinder kichert aufgeregt, als wir ihnen grinsend zu winken.
Tag 411.
Hinter einem Busch steht unser Zelt. Das sandige Brunnenwasser in unserem Wassersack tropft langsam aber stetig durch unseren Filter in unsere Wasserflasche. Es ist dunkel. Mit Stirnlampen sitzen wir vor unseren umgedrehten Fahrrädern und putzen die Ketten. In der Ferne ein Waldbrand.
Tag 412.
Hinter uns steht ein Tempel, dessen Treppe auf einen Hügel hoch mit unzähligen Buddha-Statuen gesäumt ist. Wir sitzen zum Frühstücken hier. Neben uns zwei Mönche im jungen Erwachsenenalter. Einer der Mönche raucht eine Zigarette, der andere kaut auf der berauschenden Betel-Nut herum. Im Straßenlokal mit dem Lehmboden unter unseren rosafarbenen Plastikstühlen läuft auf einem modernen Flachbild-Fernseher "America´s Got Talent", worin sich gerade ein Dutzend halb nackter Niederländerinnen tanzend räkeln. Eine sehr skurrile Situation. Ein bisschen schämen wir uns wegen des westlichen TV-Programms.
Tag 413.
Nach 15 Minuten Navigation gibt das Smartphönle am Mittag im Kartenfach von Tine´s Lenkertasche wie gewohnt den Geist auf. Überhitzung. Bitte für eine Weile abkühlen lassen.
Tag 414.
Das linke Pedal an Tommi´s Fahrrad bricht.
Tag 415.
Eine enge Gasse, über uns ein Kabelgewirr von wild verlegten Stromkabeln, neben uns klingelnde Fahrrad-Taxis, die Damen mit Sonnenschirm transportieren, hinter uns hupende Auto, der Teer unter unseren Füßen weich vom Sonnenschein des Mittags. Mittendrin läuft ein laut rufender Straßenverkäufer, der auf einem runden Holztablett, das er gekonnt auf seinem Kopf balanciert, frittierte Heuschrecken anpreist.
Tag 416.
Wir spazieren über die über ein Kilometer lange U-Bein-Brücke auf Stelzen - die älteste und längste Teakholz-Brücke der Welt. Wir sind nicht die einzigen. Die Brücke in Mandalay ist übersät mit Menschen. Auch buddhistische Mönche flanieren in der Abendsonne. Aufgeregt bittet eine Gruppe junger Mönche Tommi um ein Selphy-Fotoshooting.
Tag 418.
Im Fahrradladen schrauben zwei Jungen versehentlich Tommi´s Hinterradlager auf und bekommen es nicht mehr zusammen gebaut.
Tag 422.
Hinter uns eine Staubwolke, während auf beiden Seiten alte Tempel an uns vorbeiziehen. Mit den vom Gepäck schweren Fahrrädern wären wir auf dieser Sandpiste tief eingesunken. Der Motor unseres Scooters kämpft tapfer und erfolgreich. Das Reich der Tempel scheint kein Ende zu haben.
Tag 424.
Vor uns stockt der Verkehr, also die Motorräder und eine Kutsche und wir auf den Fahrrädern. Es tummeln sich viele Menschen auf der Straße.
Eine etwa ein Kilometer lange Prozession zieht vorbei. Frauen mit Kloputzer-Kopfschmuck. Vor Wut schäumende Ochsen, die Holzkarren ziehen. Bunt geschmückte und fein geschminkte kleine Mädchen auf Pferden mit persönlichem Pferdeführer und Schirmträger, der dem jeweiligen Mädchen mit einem gold-gelben Schirm Schatten spendet.
Wir bilden das neue Ende des Zuges und folgen der Prozession durch das Dorf, dessen Straßenränder von staunenden Menschen gesäumt sind.
Irgendwas muss hier zelebriert werden.
Tag 424.
Tommi´s Dynamo gibt den Geist auf. Nun haben beide Dynamos abgelebt. Kein Licht. Keine Stromerzeugung.
Tag 424.
Es ist kurz vor zwölf in der Nacht und wir liegen in unserem Moskitonetz in einem Baustellen-Häuschen. Über uns ein großes Plakat mit der Bauzeichnung einer Fahrbahnbrücke. Der flackernde Schein des Fernsehers erhellt den Raum. An den Wänden huschen Gekkos vorüber. Neben uns ein weiteres Moskitonetz. Es tönt leises Schnarchen der Brücken-Arbeiter zu uns herüber.
Tag 425.
Die trockene Hitze umgibt uns - entkommen unmöglich. Entweder wir sitzen im Schatten eines Baumes, während die Liter an Wasser, die wir trinken, in uns zu verdunsten scheinen. Oder wir radeln, der Fahrtwind weht durch unsere Kleider. In der Sonne stehen bleiben ist keine Option.
Tag 426.
Ein Mann im birmanischen Männer-Rock gekleidet winkt uns bestimmt von der Straße. Hinter einem Baustellenzaun erahnen wir in einer Wellblechhütte eine der vielen Immigration-Offices der verschiedenen Regionen im Land. Wir zeigen unsere Pässe vor und wollen dann passieren, um die Bergkette, die uns vom Meer trennt, zu überqueren. Der grimmig drein blickende Officer macht lediglich eine abweisende Handbewegung und murmelt immer wieder "Go away!". Ohne Motor und ohne Permit kein Durchkommen. Wir sollen 80 Kilometer zurück fahren und in den Bus steigen.
Doch wir gehen nicht - wir lächeln. Und hören damit auch nicht auf.
Wir erzählen ihnen, dass wir schon durch das ganze Land geradelt sind. Ohne Permit. Wir strahlen Ruhe aus. Irgendwann bieten sie uns einen Stuhl an und wir dürfen uns zu ihnen setzen. So sitzen wir. Für zwei Stunden. Lächeln, erzählen und rühren uns nicht von der Stelle. Irgendwann fangen sie an zu telefonieren. Und zu lächeln. Und bieten uns Nüsschen an. Ihre Grimmigkeit verschwindet nach und nach. Plötzlich zeigen sie auf die Straße: "You can go."
Warum auch immer wir nun ohne Permit und ohne Motor, was vorher noch undenkbar war, durch dieses Gebiet fahren dürfen.... Wir machen uns schnell aus dem Staub, bevor sie es sich doch wieder anders überlegen.
Tag 427.
Wir lehnen im Schatten an der Leitplanke und begutachten die kommende Steigung unschlüssig. Vor uns stoppt ein LKW, der Fahrer streckt uns grinsend zwei Flaschen kühles Wasser entgegen.
Tag 427.
Wie jeden Tag stellt sich uns bei Einbruch der Dämmerung auch heute die immer dringender werdende Frage: Wo bekommen wir Wasser für die Nacht her? Fragen wir zu früh, treten wir unnötig zehn Kilogramm mehr durch die Weltgeschichte. Fragen wir nicht, kommt vielleicht so schnell keine Wasserstelle mehr... Die Sonne versinkt hinter den Hügeln und in den 2-5 Häuser-Dörfern, die wir durchqueren, sehen wir lediglich gelbe Wasserkanister vor den Bambus-Hütten stehen. Sie haben selbst keinen Brunnen im Dorf. Uns bleibt nichts anderes übrig, als in die Dunkelheit hineinzustrampeln. Irgendwann erblicken wir eine große Ansammlung an Bambus- und Holzhütten und wittern das Wasser. Eine Horde von Kindern verfolgt uns schwer aufgeregt, während wir uns im Dorf nach Wasser durchfragen. Die Kommunikation ist schwierig. Doch am Ende werden wir tatsächlich versorgt und können den prall gefüllten Wassersack aufs Fahrrad spannen.
In der Dunkelheit schlagen wir heimlich unser Zelt im Straßengraben auf.
Tag 428.
Ein Officer reicht uns unsere Pässe. Mit einem Seil wird die von Steinen beschwerte Holzschranke hoch gelassen und wir dürfen passieren. Ein weiterer Checkpoint von vielen. Neben uns wird ein LKW vom Sicherheitspersonal durchsucht. Es soll hier viel Waffenschmuggel geben. Es fragt uns niemand mehr wegen der Fahrräder. Lediglich ihre Blicke lassen Zweifel übrig. Wir fahren weiter, der Checkpoint verschwindet so schnell, wie er aufgetaucht war und wir radeln wieder in die ausgesetzte, ursprüngliche Hügellandschaft hinein.
Tag 428.
Es holpert unter unseren Hintern. Ein Schlagloch jagt das nächste. Sowie jede Steigung von der nächsten gejagt wird, bei der der Motor des LKW´s schwer zu stöhnen beginnt - trotz Anlaufsprint! Wir sitzen auf der Ladefläche mit mehreren Strommasten-Arbeitern. Der Wind weht durch unsere Haare und kühlt unsere Haut. An uns ziehen grasende Wasserbüffel vorbei, eine Beerdigung, kleine Dörfer mit winkenden Menschen. Der Kran-Arm des LKW´s quietscht bei jedem Holpern über uns und unsere Waden sind dankbar für die Abwechslung im Reisealltag.
Tag 429.
Es ist dunkel im Zelt und auch draußen, die Grillen zirpen lautstark, ein Scheinwerferlicht erhellt das Zelt für eine Sekunde, die Moskitos summen aufgeregt entlang der Zeltwände, der Schweiß läuft in Bächen an uns herunter, wir löffeln Nudeln mit Nudel-Tütensuppe,... Alles so wie jeden Abend.
Tag 430.
Wir sind an der Küste! Der Golf von Bengalen liegt vor uns. Am Baum, der uns für die Mittagspause Schatten spendet, trocknen wir unsere über Tage feuchten Kleider.
Der Strand ist menschenleer.
Am Nachmittag kommt ein Fischer mit seinem Motorrad an uns vorbei gefahren. Ob wir eine Kokosnuss wollen? Warum nicht. Er stellt das Motorrad ab, bindet sich seinen Männerrock zu einer kurzen Hose, klettert eine zehn Meter hohe Palme hinauf und erntet sechs Kokosnüsse. Mal eben. Unten angekommen verabschiedet er sich, fährt davon und kommt einige Minuten später mit einer Machete zurück. In wenigen Hieben öffnet er je eine Kokosnuss für uns. Wir schaffen es kaum das Wasser zu trinken, es ist über ein Liter. Tine fängt an das Fleisch mit dem Finger aus der kleinen Öffnung herauszukratzen. Wieder fängt er an eine Kokosnuss zu bearbeiten, schlägt einen Löffel aus der Schale. Er hackt eine weitere auf, wäscht mit der Flüssigkeit den Löffel und sich die Hände.
Tag 433.
Von der Veranda unseres persönlichen Bungalows blicken wir auf das Meer. Die Flut kommt, die Ebbe geht. Die Ebbe kommt, die Flut geht. Ein Mal am Tag fahren die zwei großen Fischerboote aus Holz aufs Meer hinaus.
Am Abend sitzen wir da, lauschen dem Rauschen des Meers und probieren uns durch das birmanische Biersortiment. Endlich kommt die Ukulele mal wieder zum Einsatz. Die Kerze in unserem Kokosnuss-Kerzenhalter brennt. Die Stromversorgung, die am Abend für drei Stunden zugänglich ist, ist bereits wieder ausgeschalten.
Tag 434.
Die Hitze des Mittags brennt auf die Erde, auch im Schatten des Straßenstands, wo wir gerade sitzen steht die heiße Luft. Auf einem Tisch stehen den Tag über zur Essensauswahl drei Töpfe. Fleisch, Fisch, Gemüse. Mit der Hand schöpft uns die Frau Reis auf unsere Teller und bringt uns drei kleine Schüsseln. Fleisch, Fisch, Gemüse. Zwei Meter neben uns auf einer Holzpritsche sitzt nackt ein Junge, der sich gerade noch mit Wasser aus einem Kanister gewaschen hatte. Die Frau cremt ihm nun den Rücken ein.
Nach dem Essen zahlen wir und gehen satt nach Hause.
Tag 437.
Das Ledersofa, auf dem wir sitzen, befindet sich im 11. Stockwerk und wir schauen auf die völlig vergoldete Shwedagon-Pagode, das Wahrzeichen von Yangon, der größten Stadt in Myanmar. Wir sind etwas überrollt von der Moderne. Ein vollklimatisiertes Appartement mit Kaffeeautomat, Glasfronten vom Boden bis zur Decke mit Aussicht auf die Fünf-Millionenstadt, Strom, Wasser, ein Kühlschrank und eine Waschmaschine. Der Gedanke an die vergangenen Tage und genauso der jetzige Moment fühlen sich mehr als unwirklich an.
Saßen wir gestern Morgen wirklich noch an der Küste in einem Dörfchen, wo jede Stunde vielleicht ein Gefährt durchfährt? Wo das Wasser vom Brunnen geholt wird? Wo die Stromversorgung erst in den kommenden Jahren ausgebaut wird?
Haben wir uns davor wirklich über Tage jeden Abend versteckt, um nicht beim illegalen Zelten erwischt zu werden? Unsere verschwitzten Kleider waren über Tage nicht mehr getrocknet. Nachts konnten wir nicht schlafen vor lauter Hitze & Schwüle im Zelt.
...Und nun wohnen wir bei Andreas, haben ein eigenes klimatisiertes Zimmer, während es aus der Küche nach frisch aufgebrühtem Kaffee duftet. Zur Begrüßung wurden wir mit frischem Brot und Wiener Würstchen empfangen. Was geht hier vor?
Tag 438.
In der Fleischauslage eines Restaurants werden gegrillte Frösche angeboten.
Tag 439.
Wir jagen durch Yangon und versuchen alle Dinge zu reparieren und zu ersetzen, die in den letzten Wochen wegen Ermüdung, Überforderung oder Altersschwachheit den Geist aufgegeben haben. Der Zahnarzt repariert Tine´s Zähne, der Fahrradladen versucht verzweifelt passende Teile für unsere geschundenen Räder aufzutreiben und wir gehen auf die Suche nach neuen Kleidern. Doch eine Sache haben wir dabei nicht bedacht...: Wie sollen wir in einem Land, in dem die Männer so klein und schmal sind für einen Tommi ein Hemd finden, das nicht bauchfrei ist?